Rheinische Post, 16. Juni 2003

Trainspotting im Langenfelder Schaustall / Skeptiker widerlegt
Nachdenklich, schockiert und ergriffen

Ein Hauch von Nervosität liegt in der Luft. Nicht nur die Schauspieler, sondern auch die Zuschauer warten ungeduldig auf den ersten Vorhang. Einige blättern hektisch im Programmheft des Schaustalls, andere spekulieren mit ihrem Sitznachbarn, wie der Roman und Kinofilm "Trainspotting" wohl auf der Bühne umgesetzt sein würde. Von "das kann eigentlich gar nicht funktionieren" bis "ich lasse mich einfach mal überraschen" ist alles zu hören. Doch mit einem so großen Erfolg, wie er von den Schauspielern der freien Bühne Düsseldorf und Regisseur Lars Krückeberg am Ende des Stücke zu feiern ist, hatte vor der Vorstellung niemand gerechnet. "Das Gift bleibt immer länger" Zitternd und schwitzend liegt Rents (Ole Tillmann) vor seinem Sofa auf dem Boden. Er braucht dringend den nächsten Schuß. Sein Körper wird von Krämpfen geschüttelt. Dann ein klarer Bruch: Die Hauptrolle wird zum Erzähler, der dem Publikum erklärt, was es mit seiner Drogensucht auf sich hat. Schon lange wirkt das Heroin nicht mehr so gut wie am Anfang: "Die Flut kommt immer seltener, das Gift bleibt immer länger. Doch diese Erkenntnis reicht bei weitem nicht aus, mich von dem abzuhalten, was ich tun muss. Klar, die Leute denken: "Nimmste Schore, dann is da Elend, Tod und so`n Scheiß. Aber was die Wichser alle vergessen ist, was für`n Spaß das alles macht." Noch spricht Marc Renton, glaubhaft gespielt vom Fernsehserien-Darsteller und "Top-of-the-Pops"-Moderator Tillmann, positiv über seine Drogenerfahrung. Doch spätestens als die kleine Tochter von Alison (brilliant: Lisa Everling) ums Leben kommt, weil keiner auf sie achtet, wird der Drogentrip zu einem Horrortrip. Die Rettung in der Not, "ich koch uns mal eben etwas auf", funktioniert nicht mehr. Nicht nur typische Wege in die Sucht werden gezeigt. Das Stück gibt ebenso schonungslos wieder, wie schwer es ist, von den Drogen loszukommen. Dabei nimmt Krückeberg seine Zuschauer auf eine Achterbahn-Fahrt der Gefühle mit. Während das Publikum in den ersten Minuten noch über die eine oder andere Szene lacht, herrscht später eine bedrückende Stille. Nachdenklich, schockiert und ergriffen sind die Premierengäste zugleich. Von einem Theaterstoff, der schon tausendmal auf die Bühne gebracht wurde, aber noch nie so ehrlich erzählt wurde. Worte dominieren Anders als im Film steht die Geschichte der Abhängigkeit von Drogen, aber auch von Partnerschaft oder Karriere, im Vordergrund. Während auf der Leinwand hektische, bunte Bilder und laute Musik für Aufsehen sorgen, dominieren auf der Bühne die Worte. So bekomm das Stück (Bühnenfassung von Peter Torberg) einen größeren Tiefgang. Das scheint zu gefallen, denn die Zuschauer harren trotz enormer Hitze im Raum bis zum Schluß des Stücks aus.Neben den stehenden Ovationen sicherlich ein Zeichen dafür, dass ihnen die moderne Aufführung gefallen hat.
(von Esther Mai)



NRZ, 16. Juni 2003
Tod auf Raten oder ein bürgerliches Leben
Premiere / Freie Bühne Düsseldorf überzeugte mit "Trainspotting" im restlos ausverkauften Schaustall.
Zusatzvorstellung angesetzt.

Man will das gar nicht. Man will nicht sehen, wie sich Rents und seine Junkie-Kumpels die Venen aufklopfen, um sich den nächsten Schuß zu setzen. Man will nicht am Selbstmitleid anderer Leute teilhaben - nicht an dem von Alison, die ihr Baby jämmerlich an der Verwahrlosung sterben ließ; nicht an dem von Tommy, der sich an einem verunreinigten Spritzbesteck mit Aids infizierte und nun dem Tod ins Auge blickt. Was also tun als Zuschauer? Rausgehen wäre eine Alternative, aber das ist es nicht wirklich. Denn "Trainspotting", das jetzt im ausverkauften und völlig überhitzten Schaustall Premiere feierte, ist ein fesselndes Stück. Die Akteure von der Freien Bühne Düsseldorf nehmen ihr Publikum mit auf eine Achterbahnfahrt zu Grundthemen der menschlichen Existenz im Licht der heutigen Zeit. Protagonist Rents (Ole Tillmann) muss sich entscheiden, zwischen dem Tod auf Raten und dem verhassten bürgerlichen Leben. Er muss Freundschaften überprüfen und erkennen, dass er seine Würde dem Heroin geopfert hat. Junkies haben ihren Humor nicht verloren Irritierend, ja aufwühlend ist die Unbefangenheit. In der Inszenierung, die der Romanvorlage von Irvine Welsh folgt, geht es streckenweise regelrecht witzig zu. Auf den ersten Blick mag das nicht passen, auf den zweiten schon: Es spiegelt die Unbefangenheit wieder, die wohl den meisten Drogenkarrieren zumindest anfangs zu Grunde liegt. Den Schauspielern verlangt "Trainspotting" eine Menge ab. Sie müssen den Kontrast zwischen hartem Thema und lockerer Darstellung meistern, sie müssen immer wieder in rasantes Tempo wechseln, dürfen den Zuschauer nicht mit der Textfülle erschlagen. Es gelingt ihnen, und zwar prächtig.
Neben Ole Tillmann sind Lisa Everling als Alison und der kraftvolle Andre Dietz als Sick Boy hervorzuheben. "Trainspotting" spart nicht an Provokationen. Mehr als einmal wird es eklig; die Szene, in der Rents in einer öffentlichen Toilette nach seinem (gebrauchten) Opium-Zäpfchen fischt, ist sogar widerlich. "Trainspotting" trifft sicher nicht jedermanns Geschmack. Muss es aber auch nicht. Die Premierengäste fanden das Stück jedenfalls klasse und spendeten begeisterten Applaus. Wegen der enormen Nachfrage gibt es am 22. Juni um 20 Uhr eine Zusatzvorstellung
(von Holger Dumke)